Donnerstag, 21. Juli 2011

Gastbeitrag

Liebe LeserInnen,

ich bitte um einen famosen Trommelwirbel!
Es folgt ein Gastbeitrag unseres ehemaligen Juso-Sprechers Jan Lichtwitz...Tadaaaa:


Ein bisschen zu viel Konsens
Eine erste Einschätzung zur schulpolitischen Einigung zwischen CDU, SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen.
Der 19. Juli 2011 scheint berufen, als historisches Datum in die Geschichte Nordrhein-Westfalens einzugehen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten CDU, SPD und Grüne „Leitlinien für die Gestaltung des Schulsystems in Nordrhein-Westfalen“ vor. Vorausgegangen waren dem Schulkompromiss, der unter anderem von den drei Parteivorsitzenden abgezeichnet wurde, offenbar monatelange Verhandlungen zwischen den Spitzen der Landesparteien. Sven Lehmann, Landesvorsitzender der Grünen, bejubelt in einer Erklärung die Einigung als „historisch für NRW“, Hannelore Kraft zeigt sich in einem Anschreiben an die Mitglieder überzeugt von einem „guten Tag für alle Eltern und die Schülerinnen und Schüler in NRW“.
Doch wie viel sozialdemokratische Bildungspolitik steckt in dem Schulkonsens, dessen Bestand auf zwölf Jahre angelegt ist?

Die Sekundarschule:     Sie bildet das Kernstück des Kompromisses, zumindest was ihre Raumeinnahme in der öffentlichen Berichterstattung angeht. An ihr lässt sich auch der Ausgangspunkt der Verhandlungen erkennen. Rot-Grün war mit dem Ziel in die Gespräche gegangen, die Gemeinschaftsschule, die als Schulversuch nicht rechtmäßig fortgeführt werden konnte, gesetzlich zu verankern. Hierin hatte die CDU stets einen Kreuzzug gegen das dreigliedrige Schulsystem gewettert. Im Ergebnis unterscheidet sich die Sekundarschule abgesehen von der CDU-tauglicheren Bezeichnung insbesondere dadurch von der Gemeinschaftsschule, dass sie keine eigene Oberstufe anbieten kann. Fachlich bleibt die nähere Ausgestaltung der Schulform abzuwarten, insbesondere, was das Ziel gymnasialer Standards angeht.
à Im Ergebnis handelt es sich um einen Rückschritt im Vergleich zum Angebot der Gemeinschaftsschule. Kommunen müssen nun auf das Angebot, auch dreigliedrigen Schulen eine Oberstufe vorhalten zu können, verzichten. Durch eine zweite neue Schulform innerhalb eines Jahres werden Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und Kommunen weiter verunsichert. Die CDU kann einen Erfolg im von ihr beschworenen „Kampf gegen die rot-grünen Einheitsschulpläne“ verbuchen.

Die genehmigten Gemeinschaftsschulen: Insgesamt zwölf Gemeinschaftsschulen wurden zum kommenden Schuljahr genehmigt. Vorausgegangen war jeweils ein intensiver, oft schwieriger Dialog, unter anderem zwischen verschiedenen Parteien, Schulgemeinschaft und Genehmigungsbehörden. Nach Ende der Schulversuchsphase werden diese Schulen nun ins Regelschulsystem überführt. Welche Folgen das für die eigens vor Ort erarbeiteten pädagogischen und organisatorischen Schulkonzepte haben wird, bleibt abzuwarten. Fest steht aber: Bereits jetzt muss in allen Kommunen, in denen in den letzten Monaten intensiv an einer Gemeinschaftsschule für das Schuljahr 2012/2013 gearbeitet wurde fest davon ausgegangen werden, dass die Gespräche nach Umsetzung der Vereinbarungen neu begonnen werden müssen. Auch das führt zu Verunsicherung der Beteiligten vor Ort.

Die Hauptschule in der Landesverfassung: Die Verankerung der Hauptschule in Art. 12 der Landesverfassung war bisher immer die zentrale Hürde, mit der grundlegende Reformen der Schulstruktur verhindert werden konnten. Eine gemeinsame Schule für alle Kinder bis zum ersten Abschluss, so die herrschende Rechtsauffassung, sei mit dem Verfassungsartikel nicht vereinbar. Abgesehen davon, dass diese Auffassung einigermaßen fraglich ist, angesichts der Tatsache, dass es dem Verfassungsgesetzgeber 1950 offensichtlich nicht darum ging, eine bestimmte Schulform vorzuschreiben, sondern vielmehr um die politische Errungenschaft, überall und für alle einen schulischen Mindeststandart verfassungsrechtlich abzusichern, war es natürlich ein anderer Grund, der die CDU dazu bewog, ein Streichen der Hauptschule mitzutragen:
Seit einiger Zeit zeichnet sich zunehmend deutlich ab, dass Kommunen massive Probleme mit dem Verfassungsrang der Hauptschule bekommen. Von Seiten der Aufsichtsbehörden wird abgeleitet aus dem Verfassungsrang allgemein verlangt, dass vor Ort, zumindest aber nach vertraglicher Absicherung in erreichbarer Nähe eine Hauptschule angeboten wird. Bei drastisch zurückgehenden SchülerInnenzahlen hätte das zukünftig vermehrt das faktische Vorhalten von Geisterschulen oder aber das krampfhafte Ausweichen auf die Installation von beinahe leeren Hauptschulzügen in anderen Schulformen bedeutet. Das wollte niemand. Daher hatte die CDU bereits von sich aus vorgeschlagen, sich vom Verfassungsrang der Hauptschule zu trennen.
Trotz der unumstrittenen Notwendigkeit, die Hauptschule aus der Verfassung der streichen, hat die CDU an dieser Stelle massiv ihre Handschrift einbringen können: Anstelle des gestrichenen Passus soll künftig der Satz, "Das Land gewährleistet in allen Landesteilen ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Bildungs- und Schulwesen, das ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere andere Schulformen umfasst.", in der Verfassung des Landes stehen. Faktisch bedeutet das die dauerhafte Manifestierung des gegliederten Schulsystems in NRW mit Stimmen von SPD und Grünen. Ein klareres Bekenntnis der beiden Parteien zur Mehrgliedrigkeit hat es wohl bisher nicht gegeben. Damit verstoßen insbesondere Grüne, aber eben auch die SPD gegen die eigenen schulpolitischen Ziele, die den Weg zu einer Schule für alle vorstehen. Den neuen Verfassungssatz gilt es vor Beschluss im Parlament genauestens juristisch zu prüfen. Sollte in Anlehnung an bisherige Auslegung, nach der bisher eine Hauptschule vor Ort vorzuhalten ist, künftig ein gegliedertes Schulsystem vor Ort erwartet werden und damit keine Möglichkeit bestehen, vor Ort ganz auf selektive Schulformen zu verzichten, wäre das mit rot-grünen Bildungsidealen unvereinbar. Fakt ist aber, dass sich die Parteispitzen von SPD und Grünen in NRW bereits jetzt vertraglich verpflichtet haben, bis 2023 nicht am mehrgliedrigen Schulsystem in NRW zu wackeln.

Fazit: Wer das beschlossene Papier liest, wird sich wundern, dass es sich dabei um das Verhandlungsergebnis zwischen zwei Regierungsparteien und einer einzelnen Oppositionspartei handelt. Die CDU hat an zentralen Stellen Fakten gesetzt, die für die Zukunft wirken. Selbstverständlich gibt es die Stimmen einer Oppositionspartei nie ohne Gegenleistung, aber hier wird nicht deutlich, warum es am Ende den Kompromiss wert war. Gegen die Notwendigkeit, die Hauptschule aus der Verfassung zu streichen, hätte die CDU sich über kurz oder lang ohnehin nicht stellen können. Für andere sinnvolle Punkte im Konzept wie die (gesetzlich vorgeschriebene) Umsetzung der Inklusion und die Verkleinerung von Klassen, hätte die Koalition zur Not auch andere Mehrheiten im Landtag gefunden.
Statt eines Kompromisses, der das gegliederte Schulsystem festschreibt, hätte die Landesregierung gut daran getan, Mehrheiten für rot-grüne Bildungspolitik zu suchen. Dazu hätte zum Beispiel gehört, Gesamtschulgründungen vor Ort flexibler zu gestalten, um Lösungen für die vielen Elterninitiativen im Lande, die eben weniger abgewiesene Kinder wollen und keine neuen Schulformen, anbieten zu können. Auch für das dringend gebotene und im Koalitionsvertrag vereinbarte Abschulungsverbot hätte die Koalition für eine Mehrheit werben sollen.
Zentrale rot-grüne Projekte sind in diesem zu Unrecht bejubelten Schulkompromiss auf der Strecke geblieben.
Heute wissen wir wohl nicht, welche zentralen Entwicklungen und Ereignisse in einigen Jahrzehnten im Nordrhein-Westfälischen Geschichtsunterricht behandelt werden. Eines ist aber wohl sicher: Den „historischen Schulkonsens“ wird man in den Lehrplänen vergeblich suchen. Zukunftsweisende Politik sieht anders aus.

Nachtrag zur Velberter Situation:
Politisch ist die Diskussion um eine weitere Gesamtschule in Velbert eingefahren. Formal wird sich hieran auch mit dem neuen Schulkonsens nichts ändern. Was Velbert bräuchte, eine dreizügige Gesamtschule, die in der Oberstufe mit der ersten Gesamtschule kooperiert (ein Modell, dem im Dezember der städtische Ausschuss für Schule und Bildung einstimmig zugestimmt hat), wird auch weiterhin nicht ermöglicht. Nach ersten Diskussionen vor Ort über die Möglichkeit einer Gemeinschaftsschule, wird man nun abwarten müssen, was der nun neue Begriff der Sekundarschule bedeutet. Hierzu wird, wenn klar ist, was in Düsseldorf exakt auf den Weg gebracht wird, ein Dialog zwischen Hardenbergschulgemeinde, Verwaltung und Parteien nötig. Dabei bleibt zu hoffen, dass sich die Velberter CDU vom landesweiten Konsens dahingehend beeindruckt zeigt, dass sie sich an diesem Prozess beteiligt und an der Lösungssuche für eine Zukunft der Hardenbergschule endlich beteiligt.
Der Autor Jan Lichtwitz ist ehemaliger Sprecher der Juso-SchülerInnen in Nordrhein-Westfalen und war bis Mitte 2011 schulpolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion in Velbert.

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